Vorsicht vor Verfälschungen


Susanne Heinzl, sheinzl@wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de

Werbung wirbt mit Schlagzeilen, Werbung übertreibt – das ist bekannt und akzeptiert. Werbung für Arzneimittel bedient sich zum Nachweis ihres Wahrheitsgehalts häufig Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften. Die Frage ist, ob die Inhalte dieser Veröffentlichungen dann auch richtig wiedergegeben sind. Dieser Frage ist nun eine spanische Arbeitsgruppe nachgegangen. Sie analysierte alle Anzeigen für Antihypertonika und Lipidsenker, die im Jahr 1997 in sechs spanischen Medizin-Zeitschriften veröffentlicht wurden und die mindestens ein Literaturzitat als Beleg für die Werbeaussage enthielten. Insgesamt wurden 125 Aussagen gefunden, für die eine renommierte Quelle angegeben war, und zwar

  • 76% zur Wirksamkeit
  • 19,2% zur Verträglichkeit
  • 4,0% zur guten Handhabung
  • 0,8% zu den Kosten

Von den 125 Quellen waren 23 (18,4%) nicht zugänglich, zum Beispiel weil die Daten gar nicht veröffentlicht waren (die „berüchtigten“ Data on File). Die verbleibenden 102 Quellen und die dazu gehörenden Aussagen konnten einer genaueren Beurteilung unterzogen werden.

Am häufigsten wurden „Circulation“ (17,6%, die Zeitschrift der American Heart Association), „The New England Journal of Medicine“ (14,4%) und „The Lancet“ (8,8%) zitiert. 84 der 102 Quellen (82,3%) waren randomisierte klinische Studien.

Das wichtigste Ergebnis der Analyse: In 44,1% der Fälle war die Aussage in der Anzeige nicht durch die Quelle gestützt, und zwar war dies häufiger bei Werbung für Antihypertonika der Fall (68,6%) als bei Werbung für Lipidsenker (19,6%). Fast die Hälfte der „Falsch-Aussagen“ empfahl das Arzneimittel für eine andere Patientengruppe, als in der Studie untersucht worden war. Eine relativ hohe Zahl von „Falsch-Aussagen“ beruhte auch darauf, dass Studienergebnisse mit Hochrisiko-Patienten als gültig für alle Patienten verallgemeinert wurden. In vier Fällen wurden Aussagen für Patientengruppen wie Diabetiker oder ältere Patienten getroffen, die in den Studien ausgeschlossen waren. In einem Fall wurde Ergebnisse einer In-vitro-Studie und aus Tierexperimenten so dargestellt, als ob es sich um klinische Befunde handelte.

In neun Fällen wurden falsche Statements abgegeben, beispielsweise „Der einzige Angiotensin-II-Antagonist mit Daten zur Reduktion der Mortalität“ unter Bezug auf eine Studie, in der die Gesamtsterblichkeit nur ein sekundärer Endpunkt war; dieser Endpunkt war in der Verum-Gruppe und in der Vergleichsgruppe nicht signifikant unterschiedlich.

In sechs Fällen hatte die Werbeaussage keinerlei Bezug zur Quelle, die ihr angeblich zugrunde liegen sollte.

Anzeigen haben selbstverständlich eine andere Aufgabe als redaktionelle Texte oder Fachveröffentlichungen. Allerdings lassen sich auch immer wieder Beispiele dafür finden, dass bei Vorträgen vor Ärzten und/oder Fachjournalisten oder auch in Fachtexten wissenschaftliche Publikationen als Beleg für Aussagen verwendet werden, deren konstruierter Zusammenhang einer genaueren Überprüfung nicht stand hält.

Noch als eher harmlos mag man es einordnen, wenn in einem Vortrag eine Studie aus dem Jahr 1998 als Beleg dafür präsentiert wird, dass Leitlinien zur Thromboseprophylaxe wenig befolgt werden, diese Leitlinien allerdings erst in den Jahren 2000/2001 publiziert wurden. Diese Form der „Nachlässigkeit“ wird relativ häufig bei mündlichen Präsentationen beobachtet. Die Zuhörer werden oft mit einer Vielzahl von Studiendaten „zugeschüttet“, wer merkt da schon, dass zum Beispiel wenig Wert auf die Unterscheidung in primäre und sekundäre Endpunkte gelegt wird …

Ein Ärgernis ist in den letzten Jahren auch der Missbrauch von so genannten Konsensus-Publikationen geworden, ein Begriff, der allzu oft für mehr oder weniger direktes Pharma-Marketing verwendet wird. Dies gilt beispielsweise für einen Konsensus zum sicheren Umgang mit Critical-Dose-Pharmaka, der auf Initiative eines „Bundesverbandes für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz – Info Gesundheit e. V.“ (BGV) in Bonn erarbeitet wurde. Dieser BGV gibt auf seiner Internet-Seite an, dass er keine öffentlichen Mittel in Anspruch nimmt. „Das ermöglicht ein rasches, unabhängiges und unbürokratisches Handeln. Unsere Arbeit wird vielmehr ausschließlich durch Spenden und Drittmittel im Rahmen von Kooperationen finanziert. Projektbezogene Kooperationen erfolgen z. B. mit Institutionen, Verbänden, Krankenkassen, Standesorganisationen, Medien, Unternehmen.“

Bei der Durchsicht des Konsensus-Papiers wird nach wenigen Augenblicken klar, dass dieses eine weitere mehr oder weniger verkappte Pharma-Marketing-Aktion ist. Die Beispielpräparate der Broschüre sind Ciclosporin und Carbamazepin. Auch in diesem Papier sind Publikationsdaten in Zusammenhänge gestellt worden, die beim Leser eine falsche Schlussfolgerung provozieren. Verwendet wird unter anderem eine Abbildung aus dem Newsletter der Collaborative Transplant vom 1. März 2001 (http://www.ctstransplant.org/public/literature/newsletters/2001/gif/2001-1.html), die zeigt, dass bei Nierentransplantationen weniger Transplantate von Patienten, die Ciclosporin-Generika nehmen, überleben als Transplantate bei Patienten, die das Original-Präparat verwenden. Im „Konsensus“ ist wie in der Original-Vorlage angegeben, dass die Daten aus den Jahren 1998 bis 2000 stammen.

Nicht angegeben ist aber im „Konsensus“, dass es sich – so der Urheber dieser Abbildung auf unsere Nachfrage – lediglich um eine Sammlung von Fällen handelt, die sozusagen „ohne System“ gemeldet wurden. Es handelt sich weder um eine retrospektive noch um eine prospektive Studie. Diese Daten erlauben also keinerlei Aussagen.

Nicht angegeben wird, dass in der Originalpräparat-Gruppe die Daten von 16 801 Patienten, in der Generika-Gruppe jedoch nur von 397 Patienten berücksichtigt sind. Auch fehlt die Angabe, um welches generische Präparat es sich handelte, denn auch zwischen verschiedenen Generika können Qualitätsunterschiede bestehen, die bei Critical-Dose-Drugs eine besondere Bedeutung haben.

Nicht angegeben wird, dass im Erhebungszeitraum dieser Daten in Deutschland noch gar kein Ciclosporin-Generikum im Handel verfügbar war. Eindeutig soll diese Abbildung aber den Eindruck vermitteln, dass die Überlebenschancen der Nieren mit Generika allgemein geringer sind …

Ärgerlich an diesem Papier ist vor allem, dass unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes und der „Expertenmeinung“ Ängste geschürt werden und damit Pharma-Marketing betrieben wird. Allerdings: der Adressatenkreis des Papiers bleibt unklar. Der Laie wird wenig von den mit Fachausdrücken durchsetzten Texten verstehen, das Wenige aber vermutlich falsch. Für Ärzte und Apotheker ist das Papier vermutlich nicht gedacht, denn dann hätte man doch eine fundiertere Aufmachung gewählt? Gefährlich dürfte es werden, wenn der „Konsensus“ von Journalisten im guten Glauben an den „Verbraucherschutz“ als Basis für weitere Beiträge eingesetzt wird.

Vorsicht vor Verfälschungen – dies gilt für eindeutig gekennzeichnete Werbung, aber leider auch für nicht so eindeutig als Werbung erkennbare Präsentationen.

Quellen

Villanueva P, Peiró S, Librero J, Pereiró I. Accuracy of pharmaceutical advertisement in medical journals. Lancet 2003; 361:27-32.

Fletcher RH. Adverts in medical journals: caveat lector. Lancet 2003;361:10-1.

Petersen KU, Abendroth D, Calabrese P, Oberender P. Postulate zum Umgang mit Pharmaka kritischer Dosierung: ein Konsensus. MedCom Publishing GmbH, Bonn 2002.

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