Versorgungsforschung: In Deutschland ein Fremdwort!


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Die Veranstalter des diesjährigen Kardiologenkongresses in Mannheim hatten sich für eine Pressekonferenz folgendes Thema ausgedacht: Soll jeder Patient das bekommen, was gut ist? Damit sollte das Problem der Rationierung in der Medizin kommuniziert werden. Jeder, dem diese philosophisch-ethisch anmutende Frage gestellt wird, dürfte jedoch schnell bemerken, dass diese Fragestellung nicht gerade sinnvoll ist. Denn die Antwort ist einfach: Selbstverständlich soll jeder Kranke das bekommen, was gut ist; denn mit etwas Schlechtem wollen wir ihn ja wohl nicht behandeln. So kann die Frage also doch nicht gemeint gewesen sein!

Was sind aber nun die eigentlich relevanten Fragen, die für unser Gesundheitssystem von höchster Aktualität und Brisanz sind. Das ist zum einen die Frage, ob jeder das bekommen soll, was am besten ist. Und zum anderen, ob das Beste immer das ist, was jeder braucht. Und dann schließlich, ob jeder das bekommt, was er wirklich braucht.

Diese Fragen wird man angesichts der sehr unterschiedlichen Interessenslagen wohl nicht im Konsens beantworten können. Fest steht jedoch, dass bei der medikamentösen Versorgung in Deutschland nicht alles zum Besten steht. Wir haben Fehl-, Über- und Unterversorgung. Dies jedoch zu belegen ist, obwohl es alle wissen, nicht einfach. Dazu brauchen wir eine qualifizierte Versorgungsforschung, die es in Deutschland aber so gut wie nicht gibt.

Eine Versorgungsforschung ist aber auch noch aus einem anderen Grund zwingend erforderlich; denn wenn ein Medikament in klinischen Zulassungsstudien den Nachweis seiner Wirksamkeit erbracht hat, so ist dies noch kein Beweis für seine Praxistauglichkeit. Auch lassen sich die Ergebnisse klinischer Studien nicht ohne weiteres auf die Gegebenheiten in der täglichen Praxis übertragen, denn bei den in klinische Studien eingeschlossenen Patienten handelt es sich um eine auswählte Gruppe, welche strengen Ein- und Ausschlusskriterien unterliegt. Deshalb sind alte und multimorbide Patienten meist ausgeschlossen. Doch die Betreuung gerade solcher Patienten ist in der realen Versorgungssituation das tägliche Brot des Arztes. Ob das, was klinische Studien als vorteilhaft ergeben haben, auch im klinischen Alltag besser ist, weiß bisher niemand.

Zur Verdeutlichung zwei Beispiele: Keine Frage, in der RALES-Studie konnte für Aldosteron-Antagonisten bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz eine lebensverlängernde Wirkung belegt werden. Doch könnte der breite Einsatz dieses Therapieprinzips im medizinischen Alltag außerhalb von Studien vielleicht das Risiko für einen Hyperkaliämie-induzierten Herztod so stark erhöhen, dass das Medikament sogar zu einer Übersterblichkeit führt? Wird der Nutzen einer Antikoagulation bei chronischem Vorhofflimmern insbesondere bei älteren Patienten durch ein Mehr an zerebralen Blutungen mehr als neutralisiert? Keiner weiß es genau.

Dies herauszufinden, wäre Aufgabe einer Versorgungsforschung. Aber mit der Erhebung solcher interessanten Daten allein ist es auch nicht getan. Versorgungsforschung hat nur dann Sinn, wenn aus den Ergebnissen auch Konsequenzen gezogen werden, also die Erkenntnisse in eine effektive Qualitätskontrolle einmünden. Und wie dies funktionieren könnte, will zumindest niemand laut sagen.

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