Prof. Dr. med. Clemens Unger, Freiburg
Als vor etwa 50 Jahren die ersten Zytostatika entwickelt und klinisch eingesetzt wurden, hatte dies noch keine Bedeutung für die überwiegende Zahl der Patienten. In den 1980er Jahren waren die Erfahrungen mit diesen zytotoxischen Substanzen bereits erheblich profunder, trotzdem lagen die Fortschritte größtenteils im Bereich hämatologischer Neoplasien; akute Leukämien von Kindern und Erwachsenen beispielsweise konnten mit Chemotherapie geheilt werden. Dagegen waren die Fortschritte im Bereich der soliden Neoplasien weitaus bescheidener. Nimmt man den Hodenkrebs des jungen Mannes, der in den meisten Fällen auch im metastasierten Stadium heilbar ist, einmal aus, so sind die Ergebnisse insbesondere bei der medikamentösen Behandlung fortgeschrittener Tumoren meist schlicht frustrierend. Stellvertretend sei das Mammakarzinom genannt, das im metastasierten Stadium seit etwa 40 Jahren unverändert eine mittlere Überlebenszeit von etwa 22 Monaten aufweist, unabhängig von der Art der gewählten (Hoch-/Niedrigdosis-)Chemotherapie. Insbesondere die mangelnde Voraussagbarkeit eines klinischen Ansprechens bei der Verwendung zytotoxischer Therapien ist ein großer Nachteil, da Therapieversagen bei teils erheblichen Nebenwirkungen in Kauf genommen werden muss. Eine wohltuende Ausnahme stellen die hormonellen Therapien des Mammakarzinoms bei positivem Rezeptorstatus dar. Hier wurden eine bessere Voraussagbarkeit des Ansprechens sowie eine bessere Therapieverträglichkeit erreicht. Seit den 1980er Jahren verbesserte sich aber auch zunehmend die Verfügbarkeit aussagekräftiger Analysemethoden und -ansätze (Genomik, Proteomik): Dies war Voraussetzung für die Suche nach neuen, gezielten, kausalen Behandlungsansätzen und entsprechenden Biomarkern. Imatinib, ein Inhibitor der ABL-Tyrosinkinase, hat die Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie revolutioniert und wird möglicherweise die Stammzelltransplantation in dieser Indikation überflüssig machen.
Die Zukunft der onkologischen Arzneimitteltherapie heißt Individualisierung. Zielgerichtete Therapien können aber nur dann wirken, wenn die Tumorzellen gegenüber dem jeweiligen Wirkstoff überhaupt empfindlich sind. Voraussetzung sind das Finden und die Bestimmung diagnostischer Marker. Der Nachweis des mutierten K-ras-Onkogens weist darauf hin, dass eine Therapie mit Anti-EGFR- Antikörpern – anders als bei Nachweis des K-ras-Wildtyps – wenig Erfolg versprechend ist. Der selektive ALK-/cMet-Inhibitor Crizotinib, ein Tyrosinkinase-Inhibitor, zeigte in den frühen klinischen Prüfungen beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) bemerkenswerte Wirksamkeit; interessanterweise liegt diese ALK-Mutation lediglich bei 4 bis 5% der NSCLC-Patienten vor. Die Entwicklung von dualen Tyrosinkinase-Inhibitoren (z. B. BIBW 2992) zur Therapie von NSCLC, Mammakarzinom, kolorektalem Karzinom sowie Kopf-Hals-Tumoren setzt die Expression von EGFR und HER2 an den Tumorzellen voraus. BIBF 1120 hemmt drei Rezeptoren, die entscheidend an der Tumorangiogenese beteiligt sind. All diese beispielhaft genannten Entwicklungen werden die onkologischen Therapien verändern. Das kritische Auswählen von Therapien, die wahrscheinlich wirksam sind, hilft, „Trial and Error“ zu vermeiden, Patienten vor langwierigen und unsinnigen Therapien zu schützen und ihnen damit unnötige Toxizität zu ersparen.
Was ist die Perspektive? Fortschritt ist evolutionär und nicht revolutionär. Neue Biomarker erlauben eine immer gezieltere Krebstherapie. Wir werden nie perfekte Medikamente haben, aber: Wir werden zunehmend bessere Medikamente haben.
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