Kann medizinische Wissenschaft reproduziert werden?


Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Jeder, der sich wissenschaftlich mit dem akuten ischämischen Insult beschäftigt, weiß, dass es in der Zwischenzeit über 150 randomisierte, Plazebo-kontrollierte Studien zur neuroprotektiven Therapie beim Schlaganfall des Menschen gibt, die negativ ausgegangen sind. Alle diese Studien basierten auf zuvor durchgeführten Tierexperimenten – in der Anfangsphase an jungen gesunden Ratten, später auch an vaskulär erkrankten Ratten und an Primaten. Besonders bedenklich ist, dass in den letzten Jahren wiederholte Versuche, die ursprünglichen Ergebnisse von Tierexperimenten, die zehn Jahre zurückliegen, zu replizieren, in fast keinem Fall erfolgreich waren. Man kann sich jetzt die Frage stellen, ob die negativen Ergebnisse der Schlaganfallstudien dadurch bedingt sind, dass tierexperimentelle Befunde nicht auf den Menschen zu übertragen sind, oder ob der Löwenanteil der Tierexperimente a priori so durchgeführt wurde, dass nur positive Ergebnisse berichtet, negative Ergebnisse aber unterschlagen wurden.


Die Firma Amgen in den Vereinigten Staaten hat versucht, 53 experimentelle Studien aus dem Bereich Krebsforschung, die in hochrangigen Journalen publiziert worden waren, zu replizieren. Wie die Mitarbeiter in der Zeitschrift Nature berichteten, ist ihnen dies in nur sechs Fällen gelungen. Florian Prinz, Berlin, berichtete in Nature Review Drug Discovery, dass er und seine Kollegen bei der Firma Bayer, Berlin, im Bereich Krebsforschung versucht hatten, 67 wichtige experimentelle Studien zu replizieren. Dies ist ihnen nur bei einem Viertel der Fälle gelungen.


Aus diesen Ergebnissen erwächst eine tiefgreifende Skepsis gegenüber einer Vielzahl von publizierten positiven Studien. Zahlreiche Studien haben erhebliche statistische Mängel und sie sind entweder bezüglich der Fallzahl zu klein, haben keine vernünftigen Kontrollen, wurden nicht Plazebo-kontrolliert durchgeführt oder wurden nicht außerhalb des eigenen Labors repliziert. Hinzu kommt noch die unheilvolle Tendenz, dass es sehr leicht ist, positive Studien zu publizieren, während die meisten hochrangigen Zeitschriften an negativen Studienergebnissen nicht interessiert sind.


In dieser Beziehung müssen wir uns auch als Schlaganfallforscher an die eigene Nase fassen. Wir habe viel zu häufig, basierend auf kleinen Phase-II-Studien mit vermeintlich positiven Ergebnissen die Pharmafirmen ermuntert, große Phase-III-Studien durchzuführen, die dann scheiterten. Hier sind nicht nur erhebliche Finanzmittel verschleudert, sondern auch Patientenerwartungen enttäuscht worden. Die englische Zeitschrift Economist, das deutlich bessere Pendant zu unserem Spiegel, hat diese Thematik aufgegriffen und unterstützt die Initiative der Zeitschrift Nature, Publikationen in Zukunft mit Appendizes zu versehen, die die Methodik so genau beschreiben, dass andere Laboratorien die Versuche wiederholen können. Idealerweise sollten eigentlich experimentelle Befunde nur dann zur Publikation eingereicht werden, wenn sie außerhalb des eigenen Labors reproduzierbar sind. Vielen von uns fehlt allerdings das Know-how, insbesondere das statistische Know-how, um Fehler bei der Fallzahlschätzung der statistischen Auswertung zuverlässig zu identifizieren. Daher ist es erforderlich, dass alle wissenschaftlichen Zeitschriften, die ein bestimmtes Niveau haben und halten wollen, unabhängige statistische Reviewer haben.

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