Therapeutische Fortschritte bei der multiplen Sklerose


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Dieses Heft der Arzneimitteltherapie beschäftigt sich mit drei neu zugelassenen Therapieansätzen für die multiple Sklerose (MS), nämlich Teriflunomid, Alemtuzumab und Dimethylfumarat. Als ich meine Facharztausbildung für Neurologen vor 35 Jahren begann, galt die multiple Sklerose als eine verheerende entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, die bereits bei vielen Menschen in jungen Jahren begann und bei mehr als einem Drittel der Patienten zu schwerwiegenden Behinderungen führte. Viele Patienten hatten das Schicksal vor Augen, entweder im Rollstuhl oder in einem Pflegeheim zu landen. Die einzig damals verfügbare Therapie war die Stoßtherapie des akuten MS-Schubs mit Glucocorticoiden. In der Folgezeit wurden viele der pathophysiologischen Mechanismen der MS aufgeklärt und damit war es möglich, neue Therapieansätze zu entwickeln. Diese immunmodulatorische Therapie sollte die Zahl und Schwere der MS-Schübe reduzieren und auch die Krankheitsprogression verlangsamen.

Der erste therapeutische Durchbruch war die Gabe von Beta-Interferon, was zu einer 50%igen Reduktion der Schubrate führte. Beta-Interferon wird entweder subkutan oder intramuskulär verabreicht. Die meisten Patienten waren bereit, die grippeähnlichen Nebenwirkungen im Rahmen der Injektion zu tolerieren, um den Krankheitsverlauf zu verbessern. Mit kurzem Zeitabstand danach kam dann die Therapie mit Glatirameracetat (Copaxone®), das ebenfalls subkutan gegeben werden muss. Ein weiterer therapeutischer Fortschritt war die Beobachtung, dass Mitoxantron (Novantron®), ein zu diesem Zeitpunkt bereits lange bekanntes Zytostatikum, die Krankheitsprogression bei der chronisch-progredienten Form der multiplen Sklerose verlangsamt.

Ein Durchbruch bezüglich therapeutischer Wirkung war die Therapie mit Natalizumab (Tysabri®). Diese Substanz reduziert die Schubhäufigkeit signifikant besser als die bis dahin verfügbaren Therapien. Allerdings kann es unter der Therapie mit Natalizumab bei einer Häufigkeit zwischen 1 : 400 bis 1 : 1000 zur Reaktivierung einer vorbestehenden JC-Virus-Infektion des Gehirns kommen. Die Konsequenz ist dann eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), die unbehandelt zum Tode führt. Selbst bei rascher Diagnosestellung und maximal aggressiver Therapie verläuft die PML bei einem Viertel der Patienten noch immer tödlich. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, weitere Substanzen zu entwickeln, die wirksamer sind als Beta-Interferone und Glatirameracetat, jedoch weniger potenziell tödliche Nebenwirkungen haben als Natalizumab. Darüber hinaus war es ein nachvollziehbarer Wunsch vieler Patienten, auf Injektion oder Infusion zu verzichten und eine orale Therapie zur Verfügung zu haben.

Neue Arzneimittel zur immunmodulatorischen Therapie der MS sind der monoklonale Anti-CD52-Antikörper Alemtuzumab (Lemtrada®) sowie die oral verfügbaren Wirkstoffe Fingolimod (Gilenya®) und Teriflunomid (Aubagio®). Diese drei Substanzen sind hoch wirksam, haben allerdings auch mehr Nebenwirkungen als Beta-Interferon und Glatirameracetat und erfordern ein umfangreiches Monitoring, um schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen rechtzeitig zu erkennen. Ebenfalls neu für die MS-Therapie ist Dimethylfumarat, das bereits seit langer Zeit als „Fumarsäure“ zur Behandlung der Psoriasis eingesetzt wird. Diese Substanz ist zwar im indirekten Vergleich etwas weniger wirksam als die anderen neuen oralen MS-Therapien, hat aber fast keine lebensbedrohlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen.

Die neuen Substanzen erfordern eine umfangreiche Kenntnis der Pharmakologie und der Nebenwirkungen. Außerdem ist ein umfangreiches Patienten-Monitoring mit regelmäßigen Patienten-Kontakten und Laboruntersuchungen sowie MRT-Kontrollen notwendig. Damit sind die meisten niedergelassenen Neurologen und Nervenärzte überfordert. Die Konsequenz ist, dass viele der Patienten, die auf die neuen MS-Therapien eingestellt werden, in den Spezialsprechstunden von Universitätskliniken und großen neurologischen Abteilungen an Krankenhäusern betreut werden. Hier taucht aber das praktische Problem auf, dass die notwendigen sehr personalintensiven Monitoring-Maßnahmen im derzeitigen Erstattungssystem nicht ausreichend honoriert werden. Die Arzneimittelfirmen, die die neuen Arzneimittel zur Marktreife brachten, haben hohe Investitionen zu deren Entwicklung und zum Wirksamkeitsbeleg in großen randomisierten Studien getätigt. Aus Sicht des Behandlers stellt sich allerdings das Problem, dass die Pharmafirmen diese neuen Substanzen zu sehr hohen Preisen verkaufen und die Kliniken, die die Patienten betreuen, auf den Kosten des Monitorings sitzenbleiben. Hier geht es weniger um die direkten Kosten für Laboruntersuchungen, sondern für den erheblichen personellen Aufwand, um die notwendigen Patientenkontakte zu garantieren und die Kontrolluntersuchungen umfangreich zu gewährleisten. Hier müssen Vergütungsmodelle gefunden werden, wie sie sich in der Onkologie bereits bewährt haben. 

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