Rekanalisierende Therapie beim akuten ischämischen Insult


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

In dieser Ausgabe der Arzneimitteltherapie findet sich eine Übersichtsarbeit zur Thrombolyse beim akuten ischämischen Insult. Dies ist die einzig wirksame und zugelassene medikamentöse Behandlung des ischämischen Schlaganfalls, da alle bisherigen Versuche einer neuroprotektiven Therapie fehlgeschlagen sind. Vor etwa 30 Jahren zeichnete sich zum ersten Mal ab, dass es möglich ist, akut thrombotisch verschlossene Gefäße mittels Thrombolytika wie Urokinase oder Streptokinase zu eröffnen. Naturgemäß wurde dieser Therapieansatz zunächst in der Kardiologie beim akuten Myokardinfarkt erprobt. Als sich zeigte, dass ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Patienten von dieser Therapie profitiert, stand nun plötzlich eine Behandlung mit einem kritischen Zeitfenster zur Verfügung, ohne dass es dafür eine entsprechende organisatorische Infrastruktur gab.  

Die Entwicklung von rekombinantem Gewebeplasminogen-Aktivator (rt-PA, Alteplase) war ein weiterer Schritt vorwärts, da hier höhere Rekanalisierungsraten bei gleichzeitig niedrigeren Raten an Blutungskomplikationen erreicht wurden. Als die ersten Studien beim akuten ischämischen Insult begannen und sich abzeichnete, dass dies eventuell auch eine wirksame Therapie des akuten Schlaganfalls ist, gingen die Neurologen einen abweichenden Weg von den Kardiologen und beschlossen zunächst, die Infrastruktur für die rasche Versorgung von Patienten mit akuten Schlaganfällen zu organisieren, bevor möglicherweise die neue Therapie verfügbar und zugelassen war. Dies führte zur Etablierung der ersten Stroke-Unit an der Universitätsklinik für Neurologie in Essen im Jahr 1994. Inzwischen gibt es fast 300 Stroke-Units in Deutschland, deren Entwicklung ohne die Thrombolyse unmöglich gewesen wäre.  

Initial war die Wirksamkeit von Alteplase nur in einem Zeitfenster von 3 Stunden nachgewiesen worden [1], wobei das Zeitfenster beim akuten ischämischen Insult deutlich kürzer ist als beim akuten Koronarsyndrom. Aufgrund der Datenlage aus den randomisierten Studien, in denen zahlreiche Patienten wegen potenziell erhöhtem Risiko für Blutungskomplikationen ausgeschlossen waren, ergaben sich insgesamt 22 Kontraindikationen, was erklärt, warum anfangs nur 3 bis 4 % aller Patienten mit akutem ischämischem Insult einer systemischen Thrombolyse unterzogen wurden. In den Folgejahren wurden dann viele randomisierte Studien in einem Zeitfenster bis zu 6 Stunden durchgeführt, wobei sich zeigte, dass die Thrombolyse bis zu einem Zeitfenster von 4½ Stunden wirksam ist [2]. Dies führte schließlich zu einer Ausweitung der Zulassung zumindest in Europa. Weitere Studien, die unabhängig von der Industrie durchgeführt wurden, zeigten dann auch, dass es sich bei vielen vermeintlichen Kontraindikationen gegen die systemische Thrombolyse um relative Kontraindikationen handelt. So zeigte der International Stroke Trial 3 [3], dass auch Patienten über 80 Jahren, Patienten mit erhöhten Blutdruckwerten, Patienten mit Diabetes mellitus und Patienten mit vorbestehenden Schlaganfällen von einer systemischen Thrombolyse profitieren. Zwar nimmt in diesen Patientengruppen das Blutungsrisiko zu, der klinische Benefit ist aber summarisch immer noch höher als das Risiko [4]. 

Leider kann durch eine systemische Thrombolyse beim Verschluss großer Gefäße wie der distalen Arteria carotis interna und der proximalen A. cerebri media nur eine Rekanalisierungsrate von 50 bis 60 % erreicht werden. Daher wurden ähnlich wie in der Kardiologie Katheter-basierte Verfahren entwickelt, um eine lokale Rekanalisierung zu ermöglichen. Die ersten Katheter hatten noch relativ schlechte Rekanalisierungsraten und auch das Zeitfenster bis zur Rekanalisierung war system- und organisationsbedingt relativ lang. In der Zwischenzeit wurden neue, sog. Stent-Retriever entwickelt, bei denen der Thrombus mit einem Führungsdraht durchstoßen wird und dann ein Stent platziert wird. Mit Hilfe des Stents wird der Thrombus eingefangen und dann zusammen mit dem Stent retrahiert. Im Gegensatz zu den Eingriffen an den Koronarien verbleiben die Stents in aller Regel nicht, sodass auch keine duale Plättchenhemmung nach der Rekanalisierung notwendig ist. Die Rekanalisierungsrate bei den neuen Stent-Retrievern liegt bei über 90 % [5]. Derzeit laufen mehrere große randomisierte Studien zum Vergleich einer systemischen Thrombolyse mit Alteplase und einer systemischen Thrombolyse mit zusätzlicher Thrombektomie. Erst wenn diese Studien in zwei bis drei Jahren abgeschlossen sind, wird sich herausstellen, welche Patienten von einer systemischen Thrombolyse allein profitieren und welche Patienten von einer zusätzlichen Thrombektomie einen Benefit haben. 

Literatur

1. Wardlaw JM, Warlow CP, Counsell C. Systematic review of evidence on thrombolytic therapy for acute ischaemic stroke. Lancet 1997;350 : 607–14. Epub 1997/08/30.

2. Bluhmki E, Chamorro A, Davalos A, Machnig T, et al. Stroke treatment with alteplase given 3.0–4.5 h after onset of acute ischaemic stroke (ECASS III): additional outcomes and subgroup analysis of a randomised controlled trial. Lancet Neurol 2009;8 : 1095–102.

3. IST-3 Collaborative Group, Sandercock P, Wardlaw JM, Lindley RI, et al. The benefits and harms of intravenous thrombolysis with recombinant tissue plasminogen activator within 6 h of acute ischaemic stroke (the third international stroke trial [IST-3]): a randomised controlled trial. Lancet 2012;379 : 2352–63.

4. Wardlaw JM, Murray V, Berge E, del Zoppo G, et al. Recombinant tissue plasminogen activator for acute ischaemic stroke: an updated systematic review and meta-analysis. Lancet 2012;379 : 2364–72.

5. Saver JL, Jovin TG, Smith WS, Albers GW, et al. STAIR VIII Consortium. Stroke treatment academic industry roundtable: research priorities in the assessment of neurothrombectomy devices. Stroke 2013;44 : 3596–601. Epub 2013/11/07.

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