Volker Limmroth, Köln
Arzneimitteltherapie 2017;35:287–8.
Mit Daclizumab kommt nun ein weiterer monoklonaler Antikörper in die Therapie der multiplen Sklerose (MS). Nach den diversen Zulassungen der letzten drei Jahre kam die Substanz allerdings auf leisen Sohlen, fast unbemerkt daher. Dabei sind sowohl die Zulassung als auch die Substanz selber durchaus bemerkenswert.
Zunächst zur Zulassung. Die europäische Arzneimittel-Agentur, EMA, hat Daclizumab für eine auffällig breite Anwendung zur Zulassung empfohlen: für Patienten mit schubförmiger MS. Diese Formulierung ist ein Novum in der Zulassungs-Geschichte von MS-Präparaten, die eigentlich für die schubförmig remittierende MS (relapsing-remitting MS=RRMS) untersucht wurden. Denn diese Formulierung beschränkt die Anwendung nicht explizit auf RRMS-Patienten, sondern lässt auch eine Anwendung bei Patienten mit sekundär chronisch progredienter MS (SPMS) zu, die noch (vereinzelt) Schübe haben. Da für Patienten mit SPMS, die meist schon länger erkrankt und oft klinisch stärker beeinträchtigt sind, außer dem alten Chemotherapeutikum Mitoxantron keine zugelassene Medikation zur Verfügung steht, ist diese erweiterte Anwendungsmöglichkeit des Daclizumabs durchaus willkommen. Ist die breite Zulassung gerechtfertigt? Durchaus, denn sowohl in den ersten Proof-of-Concept-Studien, die schließlich die umfangreichen Zulassungsstudien triggerten, als auch in den Phase-III-Studien selber zeigten Subgruppen-Analysen, dass auch länger erkrankte Patienten mit niedriger Schubrate von einer Behandlung profitierten. Werden wirklich alle SPMS-Patienten von einer Behandlung profitieren? Hier sollte der Optimismus nicht grenzenlos sein, denn profitieren werden wahrscheinlich insbesondere die Patienten, die noch eine inflammatorische Aktivität aufweisen, was allerdings nicht immer eindeutig belegt oder nachgewiesen werden kann. Die Zulassung gilt vor allem aber (uneingeschränkt) für Patienten mit RRMS, denn es können sowohl Patienten ohne bisherige Therapie (Therapie-naiv oder Erstlinientherapie) als auch solche behandelt werden, die mit herkömmlichen Präparaten nicht ausreichend therapierbar waren (Zweitlinientherapie).
Zur Substanz selber: der Wirkungsmechanismus ist nicht abschließend geklärt, aber anders als (fast) alle anderen Substanzen in der Behandlung der MS reduziert Daclizumab Lymphozytenzahlen und alle Subgruppen in nur geringem Ausmaß. Opportunistische Infektionserkrankungen wie die gefürchtete progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) wurden daher nicht beobachtet und sind nach heutigem Verständnis auch sehr unwahrscheinlich. Der erkrankungshemmende Effekt wird möglicherweise über einen signifikanten Anstieg der sogenannten Natürlichen Killerzellen (CD56+) verursacht, was ebenfalls ein Novum darstellt beziehungsweise ein neuer Wirkungsmechanismus sein könnte. Daclizumab wurde in der DECIDE-Studie, einer Phase-III-Studie mit mehr als 1200 Patienten, direkt gegen Interferon beta 1a (Avonex®) vergleichen und war signifikant wirksamer. Mit einer Reduktion der jährlichen Schubrate von etwa 50–60% und einer Reduktion der Behinderungsprogression von etwa 40–50% kommt Daclizumab wahrscheinlich nicht an die Ergebnisse der anderen monoklonalen Antikörper wie Natalizumab oder Alemtuzumab heran, hat aber nicht das Problem der opportunistischen Infektionen (Natalizumab) oder der häufigen sekundären Autoimmunerkrankungen (Alemtuzumab). Die Wirksamkeit liegt aber deutlich oberhalb der herkömmlichen Interferonpräparate und damit grob auf der Höhe der neueren oralen Präparate wie Fingolimod oder Dimethylfumarat oder auch etwas darüber.
Die Anwendung ist eher Patienten-freundlich, denn Daclizumab muss nur einmal alle vier Wochen subkutan injiziert werden. Grippeähnliche Nebenwirkungen treten (fast) nicht auf. Allerdings entwickelt ein gutes Drittel aller Patienten Hautexantheme, die in den allermeisten Fällen wieder rückläufig sind und nicht zum Absetzen zwingen.
Damit drängt sich abschließend die Frage auf, warum Patienten denn noch mit einem Interferon oder Glatirameracetat behandelt werden sollen, wenn diese Präparate (jetzt gern als ‚Old-Injectables‘ zusammengefasst) täglich oder mehrfach pro Woche injiziert werden müssen, mehr Nebenwirkungen haben und auch noch weniger wirksam sind? Die Antwort fällt nach dieser Zulassung von Daclizumab nicht mehr leicht. FÜR die Old-Injectables sprechen tatsächlich nur noch die guten Sicherheitsdaten bei Hunderttausenden von behandelten Patienten und die fehlende Teratogenität, die in den Schwangerschaftsregistern gut dokumentiert ist. Sollte Daclizumab aber in einigen Jahren diese Sicherheitsdaten (nach)liefern, wäre die Frage nicht mehr ernsthaft zu bejahen.
Prof. Dr. med. Volker Limmroth ist Direktor an der Klinik für Neurologie und Palliativmedizin am Klinikum in Köln-Merheim
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