Antihypertensive Therapie: Wer die Wahl hat, hat die Qual!


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Welch ein Paradoxon! Mit einfachsten Mitteln lässt sich die Diagnose sichern, und das Spektrum der zur Verfügung stehenden therapeutischen Substanzen ist so reichhaltig wie bei kaum einer anderen Erkrankung. Und trotzdem ist nur jeder Vierte optimal behandelt. Die Rede ist von der arteriellen Hypertonie. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist umso erschreckender, als in Deutschland jährlich etwa 400 000 Menschen an den Folgen des Bluthochdrucks sterben.

Doch woran liegt dies? Sicherlich wäre es nicht fair, nur die Patienten dafür verantwortlich zu machen. Auch auf ärztlicher Seite wird das Krankheitsbild immer noch bagatellisiert, mit der Folge, dass die geforderten Ziele nicht mit der erforderlichen Konsequenz und Nachhaltigkeit verfolgt werden. Und auch die Verunsicherung der Patienten durch den Beipackzettel dürfte eine Rolle spielen. Noch wichtiger allerdings sind die Defizite auf Seiten der Patienten: Nur jeder zweite Hypertoniker nimmt die verordnete Medikation nach Plan. Das Spektrum der Einnahmefehler reicht vom gelegentlichen Vergessen über die eigenständige Dosisreduktion bis hin zum vollständigen Absetzen. Deshalb ist es sinnvoll, bei allen Patienten mit einer so genannten therapierefraktären Hypertonie zunächst unter klinischen Bedingungen die Compliance zu prüfen. Auch bleibt es eine große Herausforderung sowohl für die Ärzteschaft, aber auch die Pharmaindustrie, neue motivierende Kommunikationsstrategien zu entwickeln, um dieses Problem in den Griff zur bekommen.

Es ist naheliegend, dass die Therapietreue wesentlich von der Verträglichkeit der eingesetzten Medikamente bestimmt wird; denn bei einem Krankheitsbild, das meist keine besonderen Beschwerden bereitet, fehlt ein wesentlicher disziplinierender Einfluss, wie er bei herzinsuffizienten oder Patienten mit koronarer Herzkrankheit gegeben ist. Deshalb ist es einleuchtend, dass moderne antihypertensive Substanzen, insbesondere Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten, in der Compliance älteren Substanzen überlegen sind.

Damit sind wir wieder bei der Frage, die auch im Mittelpunkt der Diskussionen bei der 29. Wissenschaftlichen Tagung der Deutschen Hochdruckliga e.V. (23. bis 25. November 2005 in Berlin) stand: Welches Antihypertensivum für welchen Patienten? Plakativ könnte man fragen: alte und billige oder neue und teure Substanzen? Zu diesem Thema wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien durchgeführt mit zum Teil widersprüchlichen Studienergebnissen. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass mit jeder neuen Studie die Verwirrung zunimmt. Zunächst konnte die in den USA durchgeführte ALLHAT-Studie zeigen, dass die Oldtimer „Diuretika“ in der Wirkung auf kardiovaskuläre Endpunkte moderneren Substanzen keinesfalls unterlegen sind. Diese Studie hat in Deutschland die Gemüter erhitzt, wobei die Diskussion sicherlich auch von gesundheitsökonomischen Überlegungen bestimmt und interessensgeleitet geführt wird. Doch das stichhaltigste Argument gegen die Diuretika sind gewiss die metabolischen Begleitwirkungen, insbesondere die prodiabetogene Wirkung.

Die jetzt vorgelegten Ergebnisse der ASCOT-BPLA-Studie zeigen hingegen, dass das Amlodipin-basierte Schema mit oder ohne den ACE-Hemmer Perindopril mehr kardiovaskuläre Ereignisse verhindert und seltener einen Diabetes mellitus induziert als das Betablocker-basierte Schema mit oder ohne ein Thiazid-Diuretikum. Ein anderer wichtiger Meilenstein bei der Suche nach dem idealen Antihypertensivum ist die LIFE-Studie, in der der Angiotensin-II-Rezeptorantagonist Losartan mit einem Betablocker verglichen wurde. Hier erwies sich der Angiotensin-II-Rezeptorantagonist im Hinblick auf die Verhinderung einer Schlaganfalls dem Betablocker deutlich überlegen. Doch bei der kardiovaskulären Ereignisrate ergab sich kein statistisch signifikanter Unterschied.

Doch welche Empfehlungen für den praktischen Alltag lassen sich aus diesem Studienwirrwarr ableiten? Sicherlich sollte bei Patienten mit einem metabolischen Syndrom heute primär keine Monotherapie mit einem Diuretikum oder Betablocker eingeleitet werden. Ein Diuretikum ist aber in niedriger Dosierung als Kombinationspartner durchaus sinnvoll. Ähnliches gilt für den Betablocker, der bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder tachykarden Herzrhythmusstörungen eine sinnvolle beziehungsweise notwendige Option darstellt. Ob aber jeder Hypertoniker primär mit einem Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten eingestellt werden sollte, muss ebenfalls kritisch hinterfragt werden, da direkte vergleichende Studien zwischen ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten nicht vorliegen und nach der aktuellen Studienlage ACE-Hemmer auch das halten, was Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten versprechen, nämlich Hypertrophieregression, Nephroprotektion und eine günstige Beeinflussung des Kohlenhydratstoffwechsels. Ob Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten weitergehende, eventuell substanzspezifische metabolische Effekte über die Stimulierung der nukleären PPAR-γ-Rezeptoren – also eine Glitazon-ähnliche Wirkung – entfalten, dafür sprechen zwar erste experimentelle Studienergebnisse. Sie sagen jedoch noch nichts über die klinische Relevanz eines solchen Effekts aus. Allerdings ist für Patienten, die unter einem ACE-Hemmer einen chronischen Hustenreiz entwickeln, der Angiotensin-II-Rezeptorantagonist heute eine unverzichtbare und gleichwertige Alternative. Ansonsten ist und bleibt die Blutdruckeinstellung ein individuelles Vorgehen, wobei neben wissenschaftlichen Daten auch die persönliche Erfahrung und die Intuition des behandelnden Arztes entscheidend für den Therapieerfolg sind.

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