Dr. Maja M. Christ, Stuttgart
[Foto: Ferdinando Iannone]
Auch wenn sich derzeit viel um SARS-CoV-2 und COVID-19 dreht, dürfen andere Erkrankungen nicht ins Hintertreffen geraten. Vor allem für hämatologische und onkologische Patienten stellt die Zeit einen wichtigen Faktor für den Therapieerfolg dar. In dieser Ausgabe der Arzneimitteltherapie dreht sich fast alles um die Onkologie. Nach wie vor ist sie der Bereich, in dem sich in Bezug auf Neuzulassungen und Indikationserweiterungen am meisten tut. Einige interessante Neuerungen stellen wir Ihnen auf den folgenden Seiten vor.
Die Vielfalt fängt bereits bei den Risikofaktoren an. Deutlich wird das beispielsweise beim Kolorektalkarzinom. In „Gastroenterology“ trugen Wang et al. kürzlich zusammen, wie einzelne Risikofaktoren die Lokalisation eines Tumors im Darm bestimmen. Die Einteilung in die Kolonabschnitte proximal, distal und rektal könnte zu grob sein, eine genauere Differenzierung hingegen helfen, Präventionsmaßnahmen zu präzisieren, schreibt meine Kollegin Dr. Tanja Saußele in unserem Newsportal Pharmakotherapie.blog (s. Kasten).
Die zunehmende Individualisierung spiegelt sich in der Diagnostik und Therapie des Kolorektalkarzinoms deutlich wider. Einen umfassenden Überblick geben Julian Cardinal von Widdern, Sebastian Krug und Patrick Michl, Halle (Saale), in ihrer Übersichtsarbeit ab S. 408.
Der Biomarkeranalyse kommt also eine immer größer werdende Bedeutung zu. Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass es inzwischen oft mehr auf die zugrundeliegenden Mutationen ankommt als auf die Krebsart selbst, ist Larotrectinib. Der Inhibitor der neurotrophen Tropomyosin-Rezeptor-Kinase (NTRK) war das erste Onkologikum, das unabhängig von der Gewebeart des Tumors in Europa zugelassen wurde. Der Zulassung liegt bislang zwar nur eine recht begrenzte Studienerfahrung zugrunde, doch die Ansprechraten stimmen zuversichtlich. Für Patienten mit solidem Tumor mit NTRK-Genfusion ist Larotrectinib auf jeden Fall eine neue Therapieoption (S. 418ff.).
Neue Daten aus der SOLO2-Studie sprechen dem PARP-Inhibitor Olaparib beim Ovarialkarzinom einen Vorteil im Gesamtüberleben zu. Als Erhaltungstherapie beim metastasierten Pankreaskarzinom mit Keimbahn-BRCA1/2-Mutation ergab sich in der POLO-Studie ein Vorteil im progressionsfreien Überleben. Die abschließende Analyse des Gesamtüberlebens steht hier jedoch noch aus.
Auch in der Therapie des Hormonrezeptor(HR)-positiven, HER2-ngativen Mammakarzinoms gibt es Neuigkeiten. Ergebnisse zum Gesamtüberleben aus Interimsanalysen der Studien MONALEESA-2 und -3 führten dazu, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dem CDK4/6-Inhibitor Ribociclib nun doch einen Zusatznutzen anerkennt – wenn auch nur einen geringen. Dem Vorteil im Gesamtüberleben stehen weiterhin die Nebenwirkungen im Nutzen-Risiko-Profil entgegen (S. 433f.).
Nebenwirkungsreich ist auch Alpelisib – kürzlich zugelassen für Patienten mit HR+/HER2– Mammakarzinom bei Vorliegen einer PIK3CA-Mutation. Da die Substanz in zahlreiche Stoffwechselwege eingreift, ist eine sorgfältige Medikamentenanamnese Pflicht. Die auf das Therapieprinzip zurückzuführenden unerwünschten Wirkungen wie eine (reversible) Hyperglykämie sind in der Regel gut zu managen – Diabetologen und Dermatologen sollten jedoch auf jeden Fall einbezogen werden.
Dass COVID-19 für Patienten mit Bronchialtumoren einen zusätzlichen Risikofaktor bedeuten kann, deuten die Daten aus dem Register TERAVOLT an. Sie wurden auf dem diesjährigen virtuellen ASCO vorgestellt. Demnach führt eine Chemotherapie innerhalb von drei Monaten nach COVID-19-Diagnose zu einem erhöhten Sterberisiko für die Patienten. Für Immuntherapien oder Therapien mit Tyrosinkinase-Inhibitoren ergab sich zwar kein höheres Sterberisiko, doch COVID-19 ist und bleibt ein Komorbiditätsfaktor für Krebspatienten. Darauf weist auch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e. V. im Rahmen ihrer kommenden Jahrestagung hin.
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