Antiarrhythmika


Gesicherte und mögliche neue Indikationsfelder

Prof. Dr. med. Karl Werdan, Halle (Saale)

Foto: privat

Seit der Einführung von Amiodaron im Jahr 1974 haben Antiarrhythmika im Vergleich zu anderen Arzneimittelgruppen – wie den Medikamenten zur Herzinsuffizienz- oder Diabetestherapie – eine weniger breite Anwendung erfahren. Die Erklärung dafür ist, dass sie in den letzten Jahrzehnten bei vielen Indikationen – brady- und tachykarde Rhythmusstörungen, Vorhofflimmern – immer mehr durch Herzschrittmacher- und Defibrillatorbehandlung sowie Ablationsverfahren mit wesentlich besserer Wirksamkeit ersetzt worden sind. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass man heutzutage nur relativ wenige aktuelle Übersichtsreferate zu Antiarrhythmika in der Literatur findet.

Antiarrhythmika sind aber nicht out! Auch heute noch haben zahlreiche Patientinnen und Patienten eine Dauermedikation mit Antiarrhythmika, und diese Medikation muss aufgrund – potenziell bedrohlicher – kardialer (vor allem proarrhythmogener) und nicht-kardialer Nebenwirkungen dieser Substanzklasse sorgfältig ärztlich überwacht werden. Es ist demzufolge sinnvoll, „Antiarrhythmika-up-to-date“ zu bleiben.

Die Lektüre des in dieser Ausgabe der Arzneimitteltherapie erscheinenden Beitrags „Indikationen zur Dauertherapie mit membranwirksamen Antiarrhythmika“ von Prof. Dr. med. W. Haverkamp, Berlin, ist eine sehr gute Gelegenheit, das eigene Antiarrhythmika-Wissen aufzufrischen und zu aktualisieren. Bewusst beschränkt sich der Artikel von Haverkamp dabei auf Antiarrhythmika der Vaughan-Williams-Klassen I (Chinidin, Mexiletin, Flecainid, Propafenon) und III (Amiodaron, Dronedaron und Sotalol). Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass die Klasse II von Betablockern und die Klasse IV von Calciumantagonisten vom Verapamil-Typ repräsentiert wird.

Im Beitrag von Haverkamp werden für die Antiarrhythmika der Klassen I und III Wirkungsmechanismen und Indikationen zur Dauertherapie einschließlich der jeweiligen Therapiekontrolle beschrieben. Zu den Indikationen zählen Vorhofflimmern, ventrikuläre Tachykardien bei strukturell normalem Herzen, vererbte Arrhythmiesyndrome (z. B. Kurzes- und mehrere Langes-QT-Syndrome) und arrhythmogene Kardiomyopathien (arrhyhthmogene ventrikuläre Kardiomyopathie, hypertrophe und dilatative Kardiomyopathie). Mit leicht ansteigender Tendenz werden dabei Amiodaron (2021: 48 Millionen definierte Tagesdosen) und Flecainid (19 Millionen) eingesetzt, wohingegen der Einsatz von Propafenon (8 Millionen) und Sotalol (4 Millionen) rückläufig ist.

Besonders wichtig erscheinen mir die Ausführungen des Autors zum Vorhofflimmern: Hielt man bisher die Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern für ausreichend, so spricht nun einiges dafür, dass die Wiederherstellung des Sinusrhythmus sich prognostisch günstig erweist [6, 14]. Besonders profitieren von diesem Regularisierungskonzept diejenigen Patienten, die bereits ein Jahr nach Studieneinschluss wieder im Sinusrhythmus waren; diese Regularisierung erfolgte studienmäßig in der Mehrheit der Patienten primär mit Antiarrhythmika [1]. Setzt sich diese Erkenntnis in der Praxis zunehmend durch, so wird der Einsatz von Antiarrhythmika zwangsläufig ansteigen, denn nicht alle Patienten mit Vorhofflimmern können anhaltend mit einer Ablationstherapie „geheilt“ werden. Allerdings hat ein solcher Regularisierungsversuch nur Sinn, wenn er frühzeitig erfolgt: Bei langjährig bestehendem, anhaltendem (permanentem) Vorhofflimmern ohne große Beschwerdesymptomatik sollte – insbesondere bei älteren Patienten (> 80 Jahre) – eine antiarrhythmische Therapie mit Flecainid, Amiodaron oder Sotalol beendet bzw. nicht eingeleitet werden [2, 4].

Mehr möchte ich über den Beitrag von Haverkamp an dieser Stelle nicht verraten, um Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Freude am Lesen des Artikels nicht zu schmälern.

Gibt es für Antiarrhythmika vielleicht auch noch neue, bisher wenig beachtete Indikationsbereiche? Ich glaube: Ja! Meiner Meinung nach besitzen Antiarrhythmika noch nicht validiertes Potenzial, zumindest für die Bereiche Kardio-Onkologie, Intensivmedizin und Reanimatologie.

Kardio-Onkologie: Die personalisierte Medizin bietet vor allem der Onkologie neue Möglichkeiten der erfolgreichen Behandlung von Patienten. Dies wird allerdings zum Teil mit erheblichen kardiovaskulären Komplikationen infolge der Tumorerkrankung oder deren Behandlung erkauft [10]. Derzeit stehen vor allem Vorhofflimmern, eine Verlängerung des QT-Intervalls, ventrikuläre Arrhythmien und Bradyarrhythmien im Vordergrund [8]. Neue Krebsmedikamente wie die Checkpoint-Inhibitoren greifen z. T. gravierend in den Zellstoffwechsel ein. Insofern ist auch nicht auszuschließen, dass die induzierten Rhythmusstörungen sich gegenüber unseren klassischen Antiarrhythmika resistenter verhalten als erwartet.

Intensivmedizin: Bei hämodynamisch instabilen, mit Katecholaminen behandelten Intensivpatienten erhöhen auftretende Herzrhythmusstörungen – z. B. akutes Vorhofflimmern bei kritisch Kranken [12] – das Letalitätsrisiko. Ob und welche Antiarrhythmika unter diesen Umständen wirksam sind, ist noch wenig untersucht. Weiterhin findet sich mindestens bei jedem dritten Patienten mit Multiorgan-Dysfunktions-Syndrom [5] bzw. septischem Schock [9] eine Sinus-Tachykardiomyopathie mit inadäquat hoher Herzfrequenz von ≥ 90/min [5] bzw. ≥ 95/min [9] und eingeschränkter Pumpfunktion. Diese Patienten haben eine doppelt so hohe 28-Tage-Sterblichkeit wie Patienten mit einer Herzfrequenz < 90/min [5]. Die Frequenzsenkung auf 80–94/min mit den kurz wirksamen Betablockern Esmolol [9] und Landiolol [13] hat bisher widersprüchliche Ergebnisse erbracht, sodass diese Form der antiarrhythmischen Therapie bisher noch keinen Eingang in die Sepsis-Leitlinien gefunden hat.

Reanimatologie: Jährlich erleiden in Deutschland etwa 65 000 Menschen einen plötzlichen Herztod, und nur ein geringer Prozentsatz kann erfolgreich reanimiert werden und danach ein Leben ohne wesentliche neurologische Einschränkungen führen. Nach dem überlebten plötzlichen Herztod schützen Defibrillator und Antiarrhythmika vor einem Rezidiv (siehe Beitrag von Haverkamp). Hinsichtlich der Identifikation der Risikopatienten und möglicher antiarrhythmischer Präventionsbehandlung zum Vermeiden eines plötzlichen Herztodes gibt es jedoch noch viel zu tun: Zumindest bei jedem fünften der erfolgreich reanimierten Patienten lässt sich bisher auch im Nachhinein keine Ursache für den erlittenen Herz-Kreislauf-Stillstand eruieren [3]. Die Identifikation bisher nicht bekannter möglicher Ursachen, wie z. B. die mit Tachykardien und plötzlichem Herztod assoziierte Mitralring-Disjunktion [7], bietet dann die Möglichkeit, auch über effektive Präventions-Strategien mit Antiarrhythmika oder Defibrillatorimplantation nachzudenken.

In der Antiarrhythmika-Entwicklung gibt es aber beileibe keinen Stillstand! Neue Testsubstanzen betreffen vor allem die Kardioversion von Vorhofflimmern sowie die Stabilisierung von neu aufgetretenem Vorhofflimmern, und „alte“ Antiarrhythmika zeigen sich in „neuem Gewand“ (inhalativ, Pflaster) [11]. Wirklich spannend ist auch das „Repurposing“: Nicht-Antiarrhythmika erzielen nicht nur ihre indikationsbezogene primäre Wirkung, sondern wirken sich darüber hinaus auch günstig auf bestehende Rhythmusstörungen aus: So findet sich z. B. eine Reduktion von Vorhofflimmern unter Medikation mit Botulinumtoxin Typ A, Colchicin, Metformin, Sacubitril/Valsartan, SGLT2-Inhibitoren und dem IL-1β-Antikörper Canakinumab [11]. Es bleibt also spannend in Bezug auf die medikamentöse Behandlung von Rhythmusstörungen.

Liebe Leserinnen und Leser,

ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche und angenehme Lektüre der aktuellen Ausgabe der Arzneimitteltherapie.

Ihr Karl Werdan

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